Wartet Frankreich auf Friedrich Merz?
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In den vergangenen Wochen hat sich Friedrich Merz wiederholt für eine engere deutsch-französische Zusammenarbeit ausgesprochen. Wie viel Veränderung könnten seine Appelle tatsächlich bewirken?
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In seiner außenpolitischen Grundsatzrede bei der Körber-Stiftung in Berlin am 23. Januar 2025 forderte der christdemokratische (CDU) Kanzlerkandidat Friedrich Merz die „Erneuerung und Vertiefung“ der Beziehungen Deutschlands zu Frankreich, damit beide Länder im Europäischen Rat wieder einheitliche Positionen vertreten. Wenn diese sehr „frankophile“ Rede in Paris beruhigend wirkt, dann liegt der Grund darin, dass es um die deutsch-französischen Beziehungen nicht zum Besten bestellt ist. Mit der „Herausforderung“ der Präsidentschaft von Donald Trump und den Sorgen über seine Außenpolitik (in Bezug auf die Ukraine und den Nahen Osten) oder Handelspolitik (gegenüber Europa oder China) richten sich die Blicke mehr nach Osteuropa und auf die polnische EU-Ratspräsidentschaft. In diesem Zusammenhang könnte die mögliche Übernahme des Kanzleramts durch Friedrich Merz, der als frankophiler gilt als Bundeskanzler Olaf Scholz, in Parisfür Beruhigung sorgen.
Zurück zu den Grundlagen?
Als rheinischer Katholik ist Friedrich Merz ein Erbe der deutsch-französischen Politik der CDU, von Konrad Adenauer über Wolfgang Schäuble bis hin zu Helmut Kohl. Er hat dem Kanzler und der Regierung der Ampelkoalition übrigens oft vorgeworfen, die deutsch-französischen Beziehungen nicht besonders wertzuschätzen. Der CDU-Chef steht der Beziehung von Olaf Scholz zu Emmanuel Macron sehr kritisch gegenüber. Er moniert, die Chemie zwischen den beiden stimme nicht, und verspricht zugleich, es besser zu machen, vor allem wegen des seiner Meinung nach großen wirtschaftlichen, geopolitischen und kulturellen Potenzials. Die Kritik ist vermutlich zu harsch, denn der Staatspräsident und der Bundeskanzler haben sich durchaus auf das Spiel der deutsch-französischen Beziehungen „eingelassen“. Sie berieten sich regelmäßig, bevor sie Entscheidungen in wichtigen Krisen trafen (erst kürzlich noch in Bezug auf Syrien). Aber einige „falsche Töne“ alarmierten die Öffentlichkeit, wie zum Beispiel die nicht abgestimmte Ankündigung der European Sky Shield Initiative oder die eines Unterstützungsplans in Höhe von 200 Milliarden Euro zum Schutz der deutschen Wirtschaft gegen die Folgen der Energiekrise im Oktober 2022. Zudem vermochten weder Frankreich noch Deutschland die Rückkehr von Donald Trump zu antizipieren, weshalb sie nun den Beginn seiner Amtszeit aus einer Position der Schwäche heraus angehen. Zwar wäre die Übernahme des Kanzleramts durch eine eher „frankophile“ Persönlichkeit wie Friedrich Merz ein günstiges Signal für die deutsch-französischen Beziehungen, doch müsste er sich diesbezüglich auch schnell bewähren. Der durchaus frankophile Wolfgang Schäuble hatte während seiner Amtszeit ein eher angespanntes Verhältnis zu Frankreich.
Wandel in der Kontinuität?
Der deutsch-französische Diskurs und die entsprechenden Reflexe sind bei Friedrich Merz zwar stärker verankert als beim derzeitigen Bundeskanzler, das muss man dennoch relativieren. Zunächst einmal ist die Beziehung zu Frankreich für den CDU-Vorsitzenden nur ein – wenn auch nicht unwichtiges – Teil im großen Puzzle der Westbindung Deutschlands. Diese „Westverankerung“ gehört seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1949 zur geopolitischen DNA der CDU und erfordert gleichzeitig die Stärkung sowohl der transatlantischen Verbindung als auch der europäischen Integration und der deutsch-französischen Beziehungen. Als Kanzler würde Friedrich Merz die Grundlagen der besonderen Beziehung Deutschlands zu den USA nicht in Frage stellen, auch nicht unter der Präsidentschaft Donald Trumps. Außerdem, so sagte er selbst gegenüber der Körber Stiftung: „Zu unseren transatlantischen Beziehungen zählt auch der Südatlantik. Das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und MERCOSUR muss endlich kommen.“ Bei diesem Thema sehen wir eine strukturelle Meinungsverschiedenheit in der europäischen Handelspolitik zwischen Deutschland und Frankreich, und Friedrich Merz dürfte weiter in der Kontinuität von Olaf Scholz handeln; dies umso mehr, sollte er für die Regierungsbildung auf die SPD angewiesen sein.
Merz der Europäer?
Es wird zwar oft daran erinnert, dass Friedrich Merz nie ein Regierungsamt in Deutschland innehatte, dabei wird indes vergessen, dass er 1989 als Abgeordneter ins EU-Parlament gewählt wurde. Aus dieser Zeit hat er sich ein genuin europäisches Engagement bewahrt. Matthias Krupaschreibt auf ZEIT online: „Kaum ein Kanzler hat die europäische Politik so wenig geprägt wie Olaf Scholz. In Paris hofft man auf einen Neuanfang – und auf einen ambitionierteren Nachfolger.“ Europapolitisch ist das Umfeld für ihn also eher günstig. Erstens, weil seine Wahl zum Bundeskanzler einen Wechsel Deutschlands in das Lager der Staatschefs der EVP (Mitte-Rechts-Europäische Volkspartei) im Europäischen Rat zur Folge hätte. Deutschland würde sich damit an der politischen Farbe der Kommissionspräsidentin, der Mehrheitsfraktion im Europäischen Parlament und seinem Nachbarn, dem polnischen Premierminister Donald Tusk, orientieren, dessen Land seit dem 1. Januar den Vorsitz im EU-Rat innehat.
[...]
Paul Maurice ist Generalsekretär des Studienkomitees für deutsch-französische Beziehungen (Cerfa) am Französischen Institut für Internationale Beziehungen (Ifri).
Der Artikel ist verfügbar auf der Website der Zeitschrift dokdoc.eu
- Der Artikel ist auch auf Französisch verfügbar: "La France attend-elle Friedrich Merz ?"
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Beitrag in "deutsch-französischer Dialog (dialogue franco-allemand)" dokdoc.eu
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