Neustart für die deutsch-französische Achse
Europa zwischen Autonomie und globalen Herausforderungen

Eine neue Phase des Neogaullismus sei eingeleitet - was sich Frankreich in den letzten Jahrzehnten aufgebaut hat, müssen viele europäische Hauptstädte nun in ein paar Wochen lernen. Mit einer gewissen Genugtuung schilderte der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu der Präsidentenpartei „Ensemble pour la République“ (ehemals „Renaissance“) das neue geopolitische Selbstverständnis seiner europäischen Partner im Kontext des Ukrainekriegs und dem sich abzeichnenden Rückzug der Amerikaner für die europäische Sicherheit. Macrons erste und zweite Sorbonne-Rede, die Doktrin der Aufrüstung, das französische Paradigma der strategischen Autonomie und der Forderung eines stärkeren und resilienteren Europas haben die Europapolitik der letzten Jahre entscheidend geprägt. Doch vielen der von Macron geforderten Integrationsschritten hin zu mehr europäischer Souveränität sind keine Taten gefolgt, was den Europäern nun vor die Füße fällt. Insbesondere die deutsche Bundesregierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz wurde dabei aus französischer Sicht immer wieder als zu zögerlich wahrgenommen, auch wenn Deutschland im Rahmen der ausgerufenen „Zeitenwende“ erhebliche Anstrengungen unternommen hat, um seine Bundeswehr zu ertüchtigen und sich auch mental für ein neues Zeitalter der Geopolitik zu rüsten. Entsprechend hoch sind in Frankreich die Hoffnungen auf einen Neustart in den deutsch-französischen Beziehungen unter einem als wesentlich gradliniger und geopolitisch versierter wahrgenommenen neuen Bundeskanzler Friedrich Merz.
Merz-Macron – ein neues Dreamteam?
Noch vor seinem eigentlichen Amtsantritt traf sich der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz unmittelbar nach seinem Wahlsieg mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron im Élysée-Palast und machte damit deutlich, wie wichtig ihm die Beziehung zum Partnerland sei. Insbesondere in Zeiten der aktuellen geopolitischen Umwälzungen scheint ein neues deutsch-französisches Führungsduo mehr als angebracht, um gemeinsam neue Antworten im Umgang mit den Großmächten USA, Russland oder China zu finden.
Bereits in seiner Rede Anfang Dezember vor der Bundesakademie für Sicherheitspolitik warb Merz u.a. für die Einrichtung einer Kontaktgruppe aus Deutschland, Frankreich, Polen und Großbritannien, für eine gemeinsame europäische Strategie zur Unterstützung der Ukraine – mit dem Ziel der Beendigung dieses Krieges. Seit Friedrich Merz sich während der „Elefantenrunde“ am Abend der Bundestagswahl klar für mehr europäische Unabhängigkeit ausgesprochen hat, sind in Frankreich die Zweifel zunehmend ausgeräumt, gilt Friedrich Merz doch traditionell als überzeugter Transatlantiker. Spätestens mit den erschütternden Äußerungen von Vizepräsident JD Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz und dem darauffolgenden Riss der transatlantischen Partnerschaft steht fest, dass Deutschland künftig eine führende Rolle in der europäischen Verteidigungspolitik übernehmen muss. Dass die deutsch-französische Achse „höchst relevant auf dem Weg zu einer strategischen europäischen Autonomie“ sei betonte zuletzt auch die FDP-Europaabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die sich vom Leadership Macrons in der Ukraine Frage und seinem beherzten Vorgehen gegenüber Amerika beeindruckt zeigte.
Massive Investitionen in Verteidigung nötig
Nun hat Macron dazu aufgerufen, die Verteidigungsausgaben seines Landes von aktuell 2,1% auf 3 bis sogar 3,5% des Bruttoinlandsprodukts anzuheben. Der französische Präsident hat dazu in seiner Fernsehansprache am 5. März erklärt, dass die Erhöhung des Verteidigungsbudgets nicht ohne weitere Einsparungen der öffentlichen Ausgaben erfolgen könnte. Und er hat erneut darüber nachgedacht, ggf. private Spareinlagen der Franzosen zur Finanzierung heranzuziehen. Die 2024 ursprünglich vorgesehene Umleitung von Sparguthaben zur Finanzierung der Rüstungsindustrie wurde aufgrund des Widerstands in der französischen Nationalversammlung letztlich nicht umgesetzt und steht nun neu zur Debatte. Zugleich hat er jegliche Steuererhöhungen kategorisch ausgeschlossen. Frankreich sieht für 2025 Ausgaben für seine Armee in Höhe von 50,5 Milliarden Euro vor. Diese müssten insgesamt auf 90 Milliarden Euro steigen bei entsprechend neuem Ambitionsniveau. Eine ähnliche Diskussion stellt sich auch in Deutschland, aber Friedrich Merz verweist zurecht auf den anstehenden NATO-Gipfel im Juni 2025, in dessen Rahmen sich die NATO-Staaten insgesamt auf neue Zielmarken einigen sollten.
Mit Enthusiasmus aber auch einem gewissen Argwohn wird derweil aus Paris die Ankündigung Berlins wahrgenommen, im Rahmen der Reform der Schuldenbremse die Verteidigungsausgaben von dieser auszunehmen, die noch vor Beginn der neuen Legislatur im Bundestag von CDU, SPD und Grünen über die Bühne gebracht werden soll. Marie-Agnes Strack-Zimmermann begrüßte, dass mehr Geld in die Bundeswehr investiert werden soll, dies aber nicht dauerhaft über eine Schuldenfinanzierung realisiert werden könnte und das Sondervermögen zielgerichteter auf die deutsche Verteidigungsfähigkeit ausgerichtet werden müsste. Frankreich sieht in der Kehrtwende von Friedrich Merz, der im Wahlkampf noch eine grundlegende Reform der Schuldenbremse ausschloss und sich gegen übermäßige Verschuldung aussprach, nun das Ende der deutschen Austerität. Ähnlich verhält es sich mit der deutschen Zustimmung zum Stabilitäts- und Wachstumspakt, bei dem die Verteidigungsausgaben im Rahmen von nationalen Ausnahmeklauseln von der Gesamtverschuldung ausgeklammert werden sollen. Mehr Geld für Verteidigung auf europäischer Ebene, wie es der von Ursula von der Leyen vorgestellte Plan „ReArm Europe“ vorsieht, ist sicherlich nötig, um die Verteidigungsfähigkeit der EU voranzubringen.
Allerdings bringt nur mehr Geld nicht zwangsläufig mehr Effizienz mit sich, wie das deutsche Beispiel zeigt: trotz des 100 Milliarden Sondervermögens für die Bundeswehr sind bislang nur rund 20 Milliarden auch wirklich an Mitteln abgeflossen, weswegen ein Beschaffungsbeschleunigungsgesetz dringend notwendig ist.
Zentral wird in den nächsten Monaten sein, ob mit der Diskussion um eine Stärkung der europäischen Verteidigung auch eine Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit einhergehen wird. Doch wie schwierig insbesondere neue gemeinsame Industrieprojekte in der Rüstungskooperation sein können, zeigen das deutsch-französische Panzerprojekt Main Ground Combat Combat System (MGCS) und das deutsch-französisch-spanische Luftkampfsystem Future Combat AIr System (FCAS).
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Jeanette Süß ist seit März 2023 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Studienkomitee für deutsch-französische Beziehungen (Cerfa) des französischen Instituts für internationale Beziehungen (Ifri). Zuvor war sie als European Affairs Managerin beim Brüsseler Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, wo sie unter anderem die Frankreich-Projekte der Stiftung betreute.
>> >> Den gesamten Artikel lesen auf der Website der Friedrich Naumann Stiftung
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